SEASON 01 – Olin
ZWISCHENZEIT*ENTRE-TEMPS
Die Zwischenzeit entsteht nicht durch Geburt; sie tritt zufällig auf – verwoben in unserer menschlichen Existenz. Im Jahr 1708 wurde in Teufen in Appenzell Ausserrhoden eine Scheune errichtet. Damals dachte niemand an ihren künftigen Abriss, noch daran, dass sie einmal ein Relikt einer vergangenen Epoche werden würde.
Heute befinden wir uns an einem Wendepunkt, an dem Anfang und Ende bekannt sind und Möglichkeiten zugleich begrenzt und unbegrenzt erscheinen. Dieser Schwellenraum, dieses Bestimmtsein zum Verschwinden, ist mehr als ein Zustand: Es ist eine menschliche Bedingung.
Die drei für dieses Projekt eingeladenen Künstlerinnen erkunden jede auf ihre Weise diese vergängliche Zeitlichkeit. Ihre Arbeiten gründen in Beobachtung, Transformation, Materialität und Freundschaft – Formen des Widerstands gegen eine von Natur aus begrenzte Zeit. Ihre Verortung in der Zeit verleiht ihrem Werk eine besondere Tiefe: den einzigartigen Moment, der zum Verschwinden bestimmt ist.
Season 01 verkörpert diese Zwischenzeit – die Zeit, die Sie in dieser Scheune verbringen, die Ihnen vorausging, jedoch vor Ihnen vergeht. Es ist eine Kultur, Generationen, vergangene Zeit, von der keine Spur bleiben wird. Nur ein Moment zwischen den anderen. Für Sie wird er erfahrbar – flüchtig, still, und gerade darin lebendig.
BARBARA SIGNER
Gate III (Warten in Grau), 2024Gate III (Warten in Grau) ist eine Skulptur aus einer fortlaufenden Serie von Toren, die Barbara Signer als Durchgänge, als Schwellen zwischen verschiedenen Seinszuständen konzipiert. Diese Strukturen rufen Grenzbereiche hervor, Übergangsräume, in denen die Zeit stillzustehen scheint, zwischen Warten und Bewegung, zwischen Rückzug und Öffnung.
Das Werk nimmt zugleich eine physische und symbolische Dimension ein. Während die Bank in eine Richtung blickt, zur Kontemplation oder zum Stillstand einlädt, leuchtet auf der anderen Seite das flackernde Licht einer Blume und verweist auf einen lebendigen Parallelzustand. So entsteht eine Spannung zwischen zwei gegensätzlichen und doch untrennbaren Existenzweisen: dem inneren Rückzug, gelähmt von Unbehagen und Trauer, und dem Leben, das unbeirrt weitergeht und immer wieder neu erblüht.
Auch das Material trägt zu dieser Ambivalenz bei. Graue, matte Oberflächen absorbieren das Licht, verstärken das Gefühl von Einsamkeit und Stillstand, während die Blume mit ihrem zerbrechlichen, sich wandelnden Glanz einen sinnlichen Spalt öffnet, hin zu möglicher Erneuerung. In diesem Spiel von Licht und Schatten regt Barbara Signer dazu an, über die Schwellen in unserem eigenen Leben nachzudenken, die wir oft überqueren, ohne zu erkennen, was hinter uns geschieht.
Gate III entstand in enger Zusammenarbeit mit dem performativen Werk von Natalie Price Hafslund (1987, Devon, UK). In Performances, Texten, Skulpturen, Malerei, Sound und Video untersucht sie, wie wir uns selbst formen, wie wir uns verbinden – und in welchem Ausmass wir darüber verfügen. Ihre Arbeiten, oft sprachlich geprägt, bestehen aus einem stetigen Strom gefundener Materialien, Erinnerungen und Assoziationen, die als Spuren auftauchen und zu magischen wie verstörenden Erfahrungen neu zusammengesetzt werden. Price Hafslund und Barbara Signer lernten sich an der Mountain School of Arts kennen. Ihre Zusammenarbeit wiederholt sich – manchmal an Orten, manchmal in den Leben ihrer Werke: in der Mojave-Wüste und an den Ufern des Bodensees.
JOSY KRIEMLER
498, Erinnerungsspuren im Fadenlauf, untitled und Egg Matter, 2025In der Scheune des vermutlich ältesten Hauses in Appenzell schlägt Josy Kriemler eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dieser Ort führte sie zur Erforschung des Plattstichwebstuhls – eine bedeutende Entwicklung aus Teufen, mit der sich das traditionelle «Nollen-Muster» (gekennzeichnet durch eingewebte Punkte) umsetzen liess. In Zusammenarbeit mit der Firma Tisca, die einst die örtliche Weberschule im Bühler übernahm, entstanden an einem modernen, maschinellen Jacquard-Webstuhl zwei Gewebe. Die Webarbeit 498 interpretiert das Haus Spiessenrüti 498 in abstrakter Form. Ausgehend von einem historischen Foto der Vorbesitzer wurde die Darstellung mit Polka Dots und verzerrten Streifen verfremdet.
Erinnerungsspuren im Fadenlauf ist Teil einer Serie, die persönliche Kindheitserinnerungen aus dem ländlichen Raum aufgreift. Neben den in Appenzell Ausserrhoden einst farbenfrohen Siloballen inspirierten unter anderem das frisch gemolkene Glas Milch und das Gefühl stramm geflochtener Bauernzöpfe zu dieser Werkreihe. Ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Textilunternehmen Tisca entstand die 130 cm breite und 170 cm hohe Arbeit auf einem modernen Jacquard-Webstuhl. Die Wahl des leuchtenden Rosatons verweist nicht nur auf den ungewöhnlichen Farbakzent in der Landschaft, sondern greift auch die ursprünglich für die Brustkrebsforschung gedachte Spendenaktion auf. Daher fliessen die Erlöse aus dem Verkauf dieser Arbeit an Pink Ribbon – ein direkter Verweis auf den damaligen Spendenzweck und ein Beitrag zur fortdauernden Forschung im Kampf gegen Brustkrebs.
Mit dem Werk untitled konkretisiert sich die Verbindung zwischen Textil und Keramik: ein Ei erscheint als Strickbild auf einem Baumwoll-Jacquard – ruhend auf einem keramischen Sockel. Die Gegenüberstellung von weicher Struktur und festem Trägermaterial betont das Spannungsfeld von Form und Wandel, das Josy Kriemlers Arbeiten durchzieht.
Das textile Schaffen steht im Dialog mit der Keramikserie Egg Matter – handgeformte Keramik-Eier, Symbole für Ursprung und Potenzial. Von metallischen Oberflächen, über Polka Dots, bis zu kristallinen Strukturen, verwandeln die Emaille die Tonerde in ein taktiles, lebendiges, fast beseeltes Material und verleihen ihm eine spürbar haptische Qualität.
In Josy Kriemlers Arbeit liegt eine stille Poesie. Textil und Keramik begegnen sich nicht als Gegensätze, sondern fliessen ineinander. Die Polka Dots wandern vom Ei ins Gewebe, von der Form in die Abstraktion, vom Gegenständlichen ins Fragile. Die Keramik-Eier, versetzt im Raum, scheinen sich selbst zu behaupten – sie wirken nicht arrangiert, sondern anwesend. Sie besitzen ein Eigenleben, sind nicht dauerhaft, aber bestimmt. Transformation wird nicht bloss dargestellt, sondern verkörpert ein Zustand – behutsam zwischen Erinnerung und Material, zwischen Herkunft und Möglichkeit.
CARO PERRENOUD
I feel like you’re me when I’m you, 2022In der Fotoserie I feel like you’re me when I’m you hinterfragt Caro Perrenoud die Grenzen zwischenmenschlicher Beziehungen und die damit verbundenen Erwartungen. Die sieben ausgestellten Bilder zeigen Szenen einer intimen Verbindung, deren Wesen bewusst unbestimmt bleibt. Weder romantisch noch explizit sexuell offenbart sich diese Beziehung in tiefer Zärtlichkeit, in der sich die Seelen zu vereinen, zu verschmelzen scheinen, in einer vibrierenden Intimität.
Der melancholische Titel ruft eine Verbindung hervor, die so stark ist, dass sich die Trennung zwischen Selbst und Anderem auflöst. Die nackten Körper, vereint in einfachen Gesten, verkörpern diese Verschmelzung durch eine entwaffnende, fast kindliche Nacktheit. Bei der Betrachtung sind es zwei getrennte Körper, doch das Bild erzeugt die Illusion eines einzigen Wesens, das die Idee einer Vereinigung verkörpert – von Seele, von Bewegung, von Zustand.
Dieses Projekt entspringt einer Reflexion über Intimität ohne Liebe und darüber, wie Gesten der Zuneigung, etwa Umarmungen, kulturell kodifiziert und häufig dem romantischen Rahmen vorbehalten sind. Geprägt von einer Reise nach Südamerika, wo körperliche Nähe zum Alltag gehört, stellt Caro Perrenoud das Gefühl der Leere bei ihrer Rückkehr in die Schweiz infrage, wo Körperkontakt selten und oft unterdrückt ist. Durch diese Bilder erforscht sie dieses relationale Dazwischen – einen zerbrechlichen Raum zwischen Freundschaft, Zärtlichkeit und Verschmelzung – und lädt uns ein, Verbindung neu zu denken, durch Geste, in einem Raum bedingungsloser Zärtlichkeit, in dem Intimität anders erlebt wird.
VINCENT MAUERHOFER
Untitled 03 (Zwischenzeit), 2025Der Sound Untitled 03 (Zwischenzeit) von Vincent Mauerhofer ist eine klangliche Dekonstruktion, die mit Fragmenten und Schichtungen arbeitet. Ausgehend von einem bearbeiteten Motiv aus dem Eröffnungstrack von Werner Herzogs Die grosse Ekstase des Bildschnitzers Steiner (Popol Vuh), verbindet der Track spektrale Drones mit verfremdeten rhythmischen Strukturen, inspiriert von klanglichen Elementen aus Mount Eerie (The Microphones) und atmosphärischen Versatzstücken aus Biospheres Rimanti in Pace. Die Produktion setzt auf subtile Modulationen, spektrale Transformationen und minimale rhythmische Verschiebungen. Die verwendeten Klänge werden aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst, prozessiert und in eine neue akustische Topografie überführt. So entsteht eine Atmosphäre, die zwischen statischer Dichte und sich verändernder Textur oszilliert. Elemente tauchen auf, verschwinden und mischen sich erneut ein – als würde der Klang in einem Zustand permanenter Neuanordnung verharren.